Matthias Jung


 

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Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

Hiob betet

Predigt am 10. August 2008 über Hiob 30,16-26 und 38,1-11

 

Der biblische Text:

(Hiob betet:)
16 Jetzt aber zerfließt meine Seele in mir, und Tage des Elends haben mich ergriffen. 17 Des Nachts bohrt es in meinem Gebein, und die Schmerzen, die an mir nagen, schlafen nicht. 18 Mit aller Gewalt wird mein Kleid entstellt, wie der Kragen meines Hemdes würgt es mich. 19 Man hat mich in den Dreck geworfen, dass ich gleich bin dem Staub und der Asche.
20 Ich schreie zu dir, aber du antwortest mir nicht; ich stehe da, aber du achtest nicht auf mich. 21 Du hast dich mir verwandelt in einen Grausamen und streitest gegen mich mit der Stärke deiner Hand. 22 Du hebst mich auf und lässt mich auf dem Winde dahinfahren und vergehen im Sturm. 23 Denn ich weiß, du wirst mich zum Tod gehen lassen, zum Haus, da alle Lebendigen zusammenkommen.
24 Aber wird man nicht die Hand ausstrecken unter Trümmern und nicht schreien in der Not? 25 Ich weinte ja über die harte Zeit, und meine Seele grämte sich über das Elend. 26 Ich wartete auf das Gute, und es kam das Böse; ich hoffte auf Licht, und es kam Finsternis.

1 Und der HERR antwortete Hiob aus dem Wettersturm und sprach:
2 Wer ist's, der den Ratschluss verdunkelt mit Worten ohne Verstand? 3 Gürte deine Lenden wie ein Mann! Ich will dich fragen, lehre mich!
4 Wo warst du, als ich die Erde gründete? Sage mir's, wenn du so klug bist! 5 Weißt du, wer ihr das Maß gesetzt hat oder wer über sie die Richtschnur gezogen hat? 6 Worauf sind ihre Pfeiler eingesenkt, oder wer hat ihren Eckstein gelegt, 7 als mich die Morgensterne miteinander lobten und jauchzten alle Gottessöhne?
8 Wer hat das Meer mit Toren verschlossen, als es herausbrach wie aus dem Mutterschoß, 9 als ich's mit Wolken kleidete und in Dunkel einwickelte wie in Windeln, 10 als ich ihm seine Grenze bestimmte mit meinem Damm und setzte ihm Riegel und Tore 11 und sprach: »Bis hierher sollst du kommen und nicht weiter; hier sollen sich legen deine stolzen Wellen!«?

 

Liebe Gemeinde,

Hiob betet.

Er wendet sich an Gott, fordert ihn heraus. Er will mit Gott streiten und er will von ihm eine Antwort haben, nachdem ihn der Streit mit seinen Freunden nicht zufrieden gestellt hat. Und Gott antwortet ihm auch. Wenn auch nicht so, wie Hiob sich das wohl erwartet hat.

Doch bevor ich auf die Antwort Gottes eingehe, zunächst noch einen Blick auf Hiob´s Gebet. Eigentlich stimmt es nicht so ganz, wenn man sagt: erst streitet Hiob mit seinen Freunden, dann streitet er mit Gott. Liest man die Gespräche von Hiob und seinen Freunden, dann kommt Gott ständig vor. Nicht nur in der Streitfrage: wer ist für das Leiden Hiob´s verantwortlich, Gott oder er selber? Sondern in die Reden mischen sich immer wieder Sätze, in denen sich Hiob direkt an Gott wendet. Der Streit unter den Freunden und der Streit mit Gott im Gebet fließen also ineinander. Und wir kennen das sicher auch, wenn wir eigenes Leid zu verarbeiten suchen oder mit anderen sprechen, die gerade leiden müssen: Mitunter bricht die Frage heraus: Warum läßt Gott es zu? Oder: Was habe ich eigentlich verbrochen? Auch wenn in solchen Momenten Gott nicht direkt angesprochen wird, ist er doch der Adressat dieser Worte und somit ist auch das ein Gebet, das auf Antwort hofft.

Aber daneben gibt es auch das bewusste Gebet. Das kennen wir auch. Und da liegt noch einmal eine gesteigerte Ernsthaftigkeit drin, eine besondere Konzentration, da wähle ich die Worte ganz bewusst, bin ganz dabei. So wie Hiob auch.

Eigentlich ist das ja Blödsinn, wir wissen es doch, Gott ist immer und überall da und ansprechbar und wir brauchen uns da nicht besonders "anzustrengen." Aber dennoch, Menschen machen diese Erfahrung einer besonderen Ernsthaftigkeit, einer verstärkten Konzentration, in der ich ganz genau und sehr persönlich versuche zu formulieren, was ich auf dem Herzen habe. Das ist nicht das Gebet im Gottesdienst, sondern es geschieht im "stillen Kämmerlein" oder auch dann, wenn ich als Pfarrer gebeten werde, mit und für einen Menschen zu beten, ihm sozusagen Worte zu leihen, die er vielleicht in diesem Moment nicht selber finden kann...

Wenn man so will: solch ein bewusstes, konzentriertes Gebet ist eine Steigerung des Streits. Ich wende mich an eine höhere Instanz. Im Gespräch mit Menschen formuliere schon mal spontan und aus dem Bauch heraus. Geht es ums Ganze, sieht mein Gebet oft anders aus. Auch bei Hiob.

Daran ist nichts Falsches, liebe Gemeinde. Und wir brauchen da auch keine Angst zu haben. Jesus hat uns ja Beten gelehrt, und das, was wir da von ihm lernen können und beherzigen dürfen, das liegt in der Anrede Gottes als Vater begründet. Wörtlich übersetzt heißt Abba eigentlich nicht Vater, sondern Väterchen, eine zärtlichere, vertrautere Anrede. Man kann das gar nicht richtig ins Deutsche übersetzen, glaube ich, weil "Väterchen" oder auch "Papilein" oder "Daddy" eigentlich nicht wirklich passen, obwohl diese Koseworte die Richtung anzeigen. - Also, wir dürfen uns an einen väterlichen Gott vertrauensvoll wenden, aber besser nicht mit Geplapper, sondern mit ernsthaften Worten, oder vielleicht besser gesagt: mit ernst gemeinten Worten.

Hiob macht dies auch. Ein formuliert ein Gebet, in dem er noch mal auf alles hinweist und dann fordert er Gott heraus. Er will eine Antwort haben. Die fällt nun überraschend aus. In mehrfacher Hinsicht.

Einmal erwarten wir als Leserinnen und Leser ja nun eigentlich eine Antwort, die die unsägliche Wette mit dem Satan mit aufdeckt. Gott könnte ja sagen: ich habe dich geprüft, war vielleicht nicht ganz die feine Art - aber du hast immerhin standgehalten, toll. Du bist nicht schuld an deinem Leid (...und ich habe meine Wette gewonnen!). Damit wäre alles prima -  abgesehen von dem unsäglichen Leid Hiob´s, dass ja auch den Tod vieler unschuldiger Menschen und Tiere einschließt. 

Aber so antwortet Gott nicht. Sondern eigentlich merkwürdig. Er geht überhaupt nicht auf die Fragen Hiob´s ein. Im Gegenteil, er stellt selber etliche Fragen an Hiob: Wer hat die Erde gegründet, wer lässt es regnen und so weiter...  Man könnten meinen, er fragt Hiob: Wer bist du denn eigentlich, dass du es wagst, mir solche Fragen zu stellen?! Könnte man meinen. Aber: hier lohnt sich genau hinzuschauen und etwas zu entdecken, dass in der deutschen Übersetzung zwar erkennbar ist. Aber wir lesen drüber hinweg, ich auch, ich bin auch erst durch den Kommentar drauf gekommen: Das Alte Testament kennt verschiedene "Begriffe" für Gott. Besondere Bedeutung hat der unaussprechliche Name, den wir schon mal mit "Jahwe" wiedergeben. Dieser ist es, der sein Volk begleitet durch Höhen und Tiefen und der auf die Frage am Berg Sinai auf dei Frage nach seinem Namen eben antwortet: Ich bin der ich bin - so versucht man das "Jahwe" zu übersetzen. Und nun das Überraschende, aber dadurch auch Tröstliche: bis zu diesem Punkt im Buch, an dem Gott selbst redet, ist immer von "El" die Rede. "El" könnte man übersetzen mit "Gottheit", das ist ein allgemeinerer Begriff für Gott. Jetzt antwortet hier Jahwe - und das ist der einzigartige Gott Israels, derjenige, mit dem Israel schon so viel durch gemacht hat.

Die Antwort "Wer bist du eigentlich, der du mir hier Fragen stellst?" ist daher keine schroffe Zurechtweisung. Sondern Gott will vor allem eines ganz klar machen: Er ist ganz - anders. Anders, als wir uns das erhoffen, erträumen, ersehnen. Hier zerbrechen zunächst alle die Vorstellungen von einem "lieben" Gott, der mehr mit der Sehnsucht nach einem "Feuerlöscher" zu tun hat, den man in der Not benutzen kann, das Leid einfach zu löschen. Gott ist auch kein Getränkeautomat, oben zwei Euro rein, und unten kommt die gewünschte Cola, auch noch gekühlt heraus. Nein, die Antwort Gottes an Hiob zeigt, dass Gott vor allem eins ist: anders. Aber wie - anders?!

Der amerikanische Theologe Richard Rohr schreibt gegen Ende seines Buches "Hiobs Botschaft. Vom Geheimnis des Leidens":

Das Buch Hiob bietet drei verschiedene Lösungen für das Problem des Bösen. Die erste geht davon aus, dass Gott nicht allmächtig ist,. Die zweite besagt, dass Gott nicht gerecht sei. Die dritte behauptet, der Ursprung des Bösen liege im Menschen. Hiobs Freunde wählen die dritte Möglichkeit. Der Kern ihrer Aussagen ist, dass die Menschen von Natur aus schlecht sind. Hiob dagegen entscheidet sch für die zweite Option, dass Gott nicht gerecht sei. Seine kühne Argumentation: Ich weiß, dass ich gut bin, also muss es an Gott liegen. Müsste ich mich zwischen den dreien entscheiden, läge meine Wahl am ehesten bei der ersten Option" (S. 199).

Das mag vielleicht überraschen. Und auch verwirren. Gott nicht allmächtig, nein, genauer: nicht immer allmächtig? Gott ist anders, okay, aber so anders?!

Noch einmal Richard Rohr:

"Unsere Definition Gottes als allmächtig und immer alles im Griff habend ist nicht adäquat. Wir gehen wie selbstverständlich davon aus, dass Gott allmächtig und souverän sei und dass er immer alles unter Kontrolle habe. Ich glaube aber, dass man sehen kann, wie die Macht Gottes irgendwie aus den Händen gleitet. Anscheinend ist der Herr nicht immer der Herr. Indem er uns das Geschenk der Willensfreiheit übergeben hat, hat Gott zumindest einen Teil seiner Omnipotenz (Allmacht, M.J.) aufgegeben. Solange Hiob reich und gesund ist, können wir alle drei Möglichkeiten offen lassen. Erst wenn in der Geschichte das Leiden, und vor allem das ungerechtfertigt erscheinende Leiden, auftaucht, bricht das System auseinander. (...Und) in gewisser Weise ist es notwendig, dass das System auseinander fällt. Dann erst beginnen wir unseren Ringkampf mit Gott. Wir beginnen , uns dem Problem der Unvollkommenheit und des Lebens in einer begrenzten, unheilen Welt zu stellen. Vorher verlangen wir Vollkommenheit von der Welt und erwarten sie von uns selbst. Diese fordernde Einstellung macht Liebe, besonders bedingungslose Liebe, nahezu unmöglich. Was macht uns so anmaßend zu denken, wir sollten vollkommen sein? Weshalb fällt es uns so schwer, Unvollkommens zu lieben. Wir scheinen zu glauben, nur Unvollkommenes verdiene unsere Liebe" (S. 199f.).

Provozierende Gedanken... Gott nicht allmächtig?! Das Leid fordert uns zum Ringkampf mit Gott heraus?! Bedingungslos zu lieben und uns lieben zu lassen fällt uns so schwer, weil wir dem Ideal von Vollkommenheit verfallen sind?

Wenn das alles stimmen sollte, ja, dann müssten wir doch jetzt noch mal ganz von vorne anfangen und all die Fragen, die wir an den letzten drei Sonntagen bedacht haben, ganz neu durchdenken. Mag sein. Aber dafür haben wir jetzt nicht die Zeit. Und das ist vielleicht auch gut so. Denn dahinter steckt ja vielleicht auch wieder der Versuch, alles "vollkommen" in den Griff zu bekommen. Lassen wir uns lieber durch diese offenen Fragen zu weiterem Nachdenken verleiten, zu weiterem Streiten und auch zum Beten, zu einem eigenen "Ringkampf" mit Gott. In der Hoffnung, dass Gott uns dann begegnet - immer wieder ganz anders.

Amen.